– Der schönste Punkt in der Gegend von Halle –

Erdeborn vor 125 Jahren – aus dem Mansfelder Heimatkalender 1941

von Erich Neuß

Zu den Professoren, die um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert den Ruhm der Universität Halle durch ganz Deutschland und darüber hinaus verbreiteten – wir denken nur an Friedrich August Wolf, Schleiermacher, August Hermann Niemeyer, Meckel, Reil u.a. – zählte unstreitig auch der Professor der Medizin und der Botanik, die sein Hauptfach war, Kurt Sprengel. In den kleinen Pommernstädtchen Boldekow bei Anklam am 3. August 1766 als Pfarrerssohn geboren, Neffe des bedeutenden Botanikers Christian Konrad Sprengel, verbrachte er als einer der größten deutschen Botaniker die längste Zeit seines Lebens in Halle, geliebt und verehrt von zahllosen Studentengenerationen, angesehen und als Autorität befragt im Kreise seiner in- und ausländischen Fachkollegen. Man hat oft Gottfried Leibnitz als den letzten Polyhistor bezeichnet, als den Mann, der noch eine Ueberschau über das gesamte Wissen seiner Zeit hatte und es mit seinem Verstande verbindend und Zusammenhänge erkennend durchdrang. Auch für Sprengel kann dieses Wort gelten, wenn man auch wohl mehr im quantitativen Sinne – der Mann hatte ein ungeheures und allseitiges Wissen. Er hinterließ neben seinen vielen schriftlichen Arbeiten ein Werk, das ihn noch heute preist: den Botanischen Garten zu Halle. Dort hat ihn auch Goethe besucht, der ihn hoch schätzte. Sprengel war kein Stubengelehrter; das verbot seine Wissenschaft schon. Aber seine Streifzüge in die botanisch so interessante Umgebung Halles, insbesondere in das Mansfeldische mit seinen seit des Valerius Cordus´ Zeiten berühmten Fundstätten, waren mehr als botanische Exkursionen. Nicht die einzelne floristische Erscheinung wurde von ihm betrachtet, sondern die Ganzheit des Alls; Sprengel verstand es, alle Sinne bei den Teilnehmern dieser Wanderungen zu öffnen, und er krönte regelmäßig die ernste Arbeit mit dem heitern Genuß, wenn er die Studenten an einem schönen Orte zu einem vorausbestellten Male lud. Auf einer dieser Exkursionen ist die folgende Schilderung des „schönsten Punktes“ entstanden, die Beschreibung der Aussicht von dem damals noch bewaldeten Holzberg (214,5 m) bei Erdeborn, von dessen Hängen sich die Waldungen des Bodenhausischen, des Fürstenholzes und des Schulenburgschen Holzes hinzogen. Heute ist alles kahles Höhenfeld, und es gehört eine lebhafte und kräftige Phantasie dazu, sich den Pohlschen Grund und das Tal zwischen Galgen- und Holzberg als die stimmungsvollen Waldgründe vorzustellen, die sie einst waren. Sprengel veröffentlichte die begeisterte Landschaftsschilderungen in der von ihm in vier Jahrgängen herausgegebenen „Gartenzeitung“, und zwar in Nr. 38 vom 21.3.1806. Zu Sprengels Worten ist nur wenig Ergänzendes zu sagen.

Mit der Gräfin Schulenburg ist offenbar Luise Friederike Wilhelmine v. d. Schulenburg gemeint, die nach dem Tode ihres Bruders Heinrich Achaz (1804) alleinige Besitzerin von Erdeborn war und sich später mit Friedrich Karl Leopold, Graf von Schwerin, vermählte. Sie starb 1847 zu Berlin.

Die eingestreuten Verse sind dem berühmten Lehrgedicht „die Alpen“ des großen deutsch-schweizerischen Botanikers, Arztes und Dichters Albrecht v. Haller (1708 – 1777) entnommen. „Das die Gegend um Halle reich an Naturschönheiten ist, dass sie Landschafts-Gemälde von großer Anmuth und Mannigfaltigkeit darbietet, fällt einem Jeden auf, der sie auch nur flüchtig kennen gelernt hat. An der Nordseite der Stadt, von des berühmten Lafontaines Wohnsitze aus, in Giebichenstein und Kröllwitz eröffnet sich eine Menge malerischer Aussichten, deren Bestandtheile Anmuth und Leben sind. Die Natur ergötzt in diesen mannigfaltigen Landschafts-Gemälden durch den Kontrast der rauhen Felsen mit den lieblichsten Kornfeldern, der reinlichen ländlichen Wohnungen mit dem schwarzen Kiefern-Walde am westlichen Horizonte. Die Natur belebt diese Gemälde durch den Spiegel des zwischen den Felsen sich in vielen Krümmungen windenden Flusses: sie erregt endlich Interesse durch die ehrwürdigen Reste des Altertums, die wir in so vielen Ruinen der Vorzeit , in den Überresten der erzbischöflichen Paläste und der uralten Bergfestung bemerken. Auch fehlt es diesen Gemälden nicht an einer gewissen Größe und Ausdehnung, die doch vorzüglich nur auf einzelnen Plätzen wahrgenommen wird.

Aber das größte, mannigfaltigste, lieblichste, lebendigste Gemälde findet der Freund der schönen Natur doch erst drey Meilen westlich von Halle, bey Erdeborn, einem gräflich schulenburgischen Gute, welches an der westlichen Bucht des salzigen Sees liegt.

An der Abendseite dieses Dorfes erhebt sich ein waldiger Bergrücken, der sich südlich nach Hornburg und westwärts nach Holzzelle zieht. Der Wald besteht aus bejahrten Buchen, Eichen, Birken und anderem Gehölz, und sein Charakter ist an sich Ernst und Würde, die Ehrfurcht einflößt. Gefühle der Ruhe durchschauern das Gemüth, und lassen ein angenehmes Staunen zurück. Die Ballungen des mannigfachen Laubes, welches der mühsam durchdringende Wind in Bewegung setzt, das leichte Spiel des Lichtes und Schattens auf Blättern und am Boden, die oft magische Beleuchtung der herrlichen Baumstämme, die durchbrechende Vergoldung der Sonne, der zauberische Schimmer des Mondes, das alles sind Zufälligkeiten, die jeden anderen Wald auch schmücken.

Aber der Erdebornsche Wald erhält seine schönste Zierde von seiner Lage auf einem der höchsten Gebirgs-Rücken unserer Gegend. Der Stoff dieses Gebirges ist die Art Sandstein, welche man das Todte Liegende nennt; diese Gebirgsart ist hier und da auf den Feldern in Erde übergegangen, und giebt dem Boden eine garnicht unangenehme rothe Farbe. In dem Erdebornschen Walde ist diese Gebirgsart von einer hohen Lage Lehm bedeckt, und es wachsen hier die seltensten und schönsten Pflanzen unserer Gegend: der wunderschöne Frauenschuh (Cypripedium Calceolus) nebst den trefflichen Orchideen (Orchis ustulata fusca, maculata uff.).

Man merkt, bey dem gewöhnlichen Eingange in das Holz vom Dorfe aus, nicht die Höhe, zu welcher man sich erhebt. Aber bald führt ein von der Gräfin Schulenburg sehr verständig angelegter Gang mit einigen ländlichen Rasensitzen immer mehr links und südlich aufwärts, bis man auf einen Platz kommt, wo eine einfache Laube den müden Wanderer zur Ruhe einladet.
Und wie wird man überrascht, wenn man nun, am Rande des waldigen Berges aus dem Holze hervortritt, um in dieser Laube eine Aussicht zu genießen, der an Größe, Mannigfaltigkeit und Anmuth, nicht leicht eine andere in unserer Nähe vorgezogen werden kann!

Man denke sich eine hügelichte Fläche von mehr als drey Meilen in die Länge und wenigstens halb so breit, an deren äußerstem Ende, gerade vor den Augen des Beschauers, sich Halle emporthürmt. In der Mitte dieses Gemäldes der meilenlange Spiegel des dunkelblauen Sees, unzählige Hügel mit Büschen bekränzt, ein buntes Gemisch der fettesten Triften , der schönsten Getreydefelder, Berglehnen mit goldener Rübsaat oder mit purpurner Esparsette besäet, eine Menge der reinlichsten Dörfer, jedes in einem Kranze von Fruchtbäumen versteckt: hier und da Windmühlen, deren rege Flügel das Bild des Lebens und des menschlichen Gewerbefleißes sind, und im Vordergrund das freundliche große Dorf, zu dem sich von Hornburg her ein Bach zwischen hohen Ufern, mit Weiden bepflanzt, herschlängelt. Unwillkürlich will man mit Haller rufen:

Soweit das Auge reicht, herrscht Ruh´ und Überfluß:
selbst unterm braunen Stroh bemooster Bauernhütten,
wird Freyheit hier gelitten, und nach der Müh´ Genuß.
Mit Schafen wimmelt dort die Erde, davon der bunte Schwarm
in Eile frisst und beißt; wann dort der Rinder satte Herde
sich auf den weichen Rasen streckt, und den geblümten Klee
im Kauen doppelt schmeckt. Dort springt ein freyes Pferd
mit sorgenlosem Sinn, durch neu bewachs´ne Felder hin,
woran es oft gepflüget. Und jener Wald, wenn lässt er unvergnüget?
Wo dort im rothen Glanz  halb nackte Buchen glühn,
und hier der Eichen fettes Grün das falbe Moos beschattet;
wo mancher helle Strahl auf seine Dunkelheit
ein zitternd Licht durch rege Stellen streut,
und in verschiedner Dichtigkeit
sich grüne Nacht mit goldnem Tage gattet.

Die Hauptschönheit dieses Punktes besteht ohne Bedenken an der Ausdehnung dieser Landschaft. Der Genuß der Größe giebt dem menschlichen Geiste eine Nahrung, die ihn über das Gewöhnliche und Alltägliche erhebt und ihm große Gedanken und erhabene Empfindungen einflößt. So hat jenes herrliche Gemälde immer auf mich gewirkt, so muß es auf jeden fühlenden Menschen wirken!
Ein Landsee ist immer das schönste Eigentum einer heitern und anmuthigen Gegend. Er belebt alle Scenen umher, reizt in der Ferne und unterhält in der Nähe: sein klares und ruhiges Wasser strahlt die wechselnden Farben des Himmels und die Verzierungen seiner Ufer verschönernd zurück: in seinem Umfange, in der Bildung seiner Buchten, in der Form und Bekleidung seiner Ufer, in seiner Verbindung mit Hügeln, mit Dörfern und Wiesen, ist er einer reichen Abwechslung fähig: er giebt Empfindungen der Ruhe und der sanften ländlichen Ergötzung. Der leisere Hauch des Windes kräuselt seine Oberfläche, und seine Wellen fangen an zu spielen. Durch diese Bewegung verliert sein Anblick die ermüdende Einförmigkeit und wird belebter, frischer und anziehender.
Den letzten Augenpunkt in diesem reichen Gemälde liefert eine volkreiche Stadt, deren Thürme und Gebäude von der Abendsonne beleuchtet, einen wundervollen Kontrast gegen das dunkle Gewässer des Sees bilden, in jeder Tageszeit aber dem Auge einen festen Ruhepunkt gewähren, und dieser ganzen Landschaft das Gepräge des Lebens und die Spuren menschlicher Kunst verleihen.
Dank der edlen Gräfinn, welche die Schönheit dieser Landschaft fühlte, und durch Anlegung der einfachsten Gänge und dieser ebenso natürlichen Laube den Genuß dieser Schönheiten erleichterte.

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